(Geschrieben von Johannes Pflaum)
Es
gibt eine nicht unbeträchtliche Zahl von bibeltreuen Auslegern und Gläubigen,
mit denen wir viele Überzeugungen teilen, die jedoch eine Zukunft für das Volk
Israel ablehnen. Diese Vertreter der sogenannten Bündnis-Theologie (oder
Bundestheologie) verweisen darauf, dass der neue Bund den alten Bund ersetzt hat
und damit auch die Verheissungen für Israel auf die Gemeinde übergegangen seien.
Israel habe durch seinen Unglauben die Verheissungen verspielt und deshalb als
Volk keine Zukunft mehr. Als Belegstelle wird Galater 6,15-16 zitiert: «Denn
weder Beschneidung noch Unbeschnittensein gilt etwas, sondern eine neue
Schöpfung. Und so viele dieser Richtschnur folgen werden, Frieden und
Barmherzigkeit über sie und über das Israel Gottes.» Die Bündnis-Theologie
argumentiert, diese und andere Stellen würden deutlich machen, dass die Gemeinde
im neuen Bund das Israel Gottes sei und das Volk Israel aus diesem Grund keine
Verheissung als auserwähltes Volk mehr habe.
Weiter
wird beispielsweise auf Römer 2,28-29 und 9,6-11 verwiesen. Paulus nennt in der
ersten Römerstelle nicht den einen Juden, der zu Israel gehört und beschnitten
ist, sondern den, der die Herzensbeschneidung (Glaubensgerechtigkeit) im Geist
hat. Die zweite Römerstelle bezeichnet nicht die Kinder des Fleisches (Israel
als Volk) als Abrahams Nachkommen, sondern die Kinder der Verheissung (die,
welche glauben). Mit diesen Stellen wird argumentiert, dass durch den neuen Bund
die irdischen noch ausstehenden Verheissungen für Israel hinfällig seien und
sich diese nur noch für die Glaubenden (Gemeinde) im geistlichen Sinn erfüllen.
Nun
wird ein ganzer Teil von Christen durch die Verbreitung der Bündnis-Theologie
zunehmend verunsichert. Dadurch stellt sich die Frage, ob die überwiegende
Mehrheit der bibeltreuen Bewegung im deutschsprachigen Raum die Bibel in der
Israelfrage falsch verstanden und ausgelegt hat. Aus diesem Grund möchte ich
einige biblische Belege anführen, die deutlich machen, dass Israel nach wie vor
Gottes auserwähltes Volk ist und von der Bibel her
eine grosse Zukunft
hat.
1.
Der Abrahambund. Wir
müssen in der Bibel verschiedene Bündnisse unterscheiden. Es gibt
bedingungslose, einseitige Bündnisse und solche, die an Bedingungen geknüpft
sind. Die Bündnis- Theologie verweist darauf, dass der alte Bund, er wird auch
mosaischer Bund, Sinaibund oder Gesetzesbund genannt, durch den neuen Bund
ersetzt und abgelöst sei.
Der
alte Bund war an Bedingungen geknüpft. So macht 5. Mose 28 deutlich, dass der
Gehorsam gegenüber dem Bund für Israel mit Segen, der Ungehorsam dagegen mit
Fluch verbunden ist. Durch seinen Ungehorsam gegenüber dem alten Bund habe
Israel, nach den Aussagen der Bündnistheologen, seine Auserwählung und die noch
ausstehenden Verheissungen verspielt. Wir kommen noch darauf zurück.
Aber
zunächst einmal lesen wir völlig unabhängig von dieser Behauptung in 5. Mose 28
von zwei Zerstreuungen Israels, die mit dem Ungehorsam des Volkes
zusammenhängen. Das Kapitel spricht aber auch von der zukünftigen Sammlung
Israels. In 5. Mose 28,36 geht es zunächst um die Wegführung des Nordreiches
Israels durch die Assyrer (Zehnstämme-Reich, 722 v.Chr) und die Zerstreuung des
Südreiches (Juda, 586 v.Chr.): «Der Herr wird dich und deinen König, den du über
dich setzten wirst, zu einer Nation wegführen, die du nicht gekannt hast, du und
deine Väter. Und du wirst dort anderen Göttern aus Holz und Stein dienen.» Hier
ist von einer Nation die Rede, und die Wegführung steht in einem direkten
Zusammenhang mit dem König. Beides hat sich bei der Wegführung sowohl des
Nordreiches als auch des Südreiches erfüllt. Das Nordreich wurde unter seinem
letzten König nach Assyrien, das Südreich später nach Babylon weggeführt. In 5.
Mose 28,64 ist nicht mehr die Rede von der Wegführung im Zusammenhang mit dem
König zu einer anderen Nation, sondern von der Zerstreuung unter alle Völker auf
der ganzen Erde: «Und der Herr wird dich unter alle Völker zerstreuen von einem
Ende der Erde bis zum anderen Ende der Erde. Und du wirst dort andern Göttern
dienen, die du nicht gekannt hast, weder du noch deine Väter – Götter aus Holz
und Stein.»
Diese
zweite Zerstreuung Israels hängt im weiteren Sinn mit der ersten Zerstreuung
Israels zusammen, da auch ein Teil der Weggeführten nach Assyrien und Babylon
sich unter den Völkern zerstreute. Aber die eigentliche Erfüllung kam mit der
Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n.Chr. und der damit verbundenen
Zerstreuung der Juden unter alle Völker des Römischen Reiches. Besiegelt wurde
dies noch mit der Niederschlagung des Bar-Kochba- Aufstandes durch die Römer
(135 n.Chr.) und der damit verbundenen nochmaligen Zerstreuung von einem ganzen
Teil des Restes der Juden, die sich noch in Israel befanden.
Was
können wir aus diesen beiden Zerstreuungen lernen? Wenn Gott zum einen die
Geschichte Seines Volkes, trotz dessen Ungehorsam, nach der ersten Zerstreuung
nicht beendet hat, liegt es nahe, dass Er dies auch nach der zweiten Zerstreuung
Israels nicht tun wird. Aber das Zweite ist noch wichtiger. Die Verheissung über
die zukünftige Sammlung Israels in 5. Mose 30,1-6, kann sich nicht mit der
Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil erfüllt haben, sondern muss sich
auf eine zukünftige Sammlung nach der zweiten Zerstreuung beziehen. Dies wird
daran deutlich, dass Vers 3 von der Sammlung aus allen Völkern und nicht nur aus
einem Volk spricht (vgl. 5.Mo 28,36), unter die Israel zerstreut war. Eine
solche Sammlung kann sich aber erst nach der zweiten Zerstreuung Israels
erfüllen. Ausserdem ist in Vers 6 die Rede davon, dass der Herr Seinem Volk das
Herz beschneiden wird und dass es Ihn ganz lieben und Ihm dienen wird. Dies hat
sich trotz der Erweckungsbewegung unter den Rückkehrern aus Babylon auch noch
nicht erfüllt. Der Prophet Maleachi macht deutlich, wie schnell es nach der
Erweckungsbewegung unter Serubabel, Esra und Nehemia wieder zur
Oberflächlichkeit und zum Abfall kam.
Wir
fassen zusammen: Unabhängig davon, wie man die Übertragung der Verheissungen vom
alten auf den neuen Bund deuten mag, kann man aus 5. Mose 28 nicht folgern, dass
Israel seine Verheissungen durch den Ungehorsam gegenüber dem Gesetzesbund
verloren hätte. Dieses Kapitel macht deutlich, dass Israel zweimal zerstreut
wird und die Verheissung für die zukünftige Sammlung (5.Mo 30) sich nicht auf
die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft, sondern erst auf die
Zerstreuung unter alle Völker in der Zeit nach Christus und die Rückführung aus
all diesen Völkern beziehen kann.
Nun
aber zurück zu den Bündnissen. In der Bündnis-Theologie wird ein wichtiger Bund
falsch eingeordnet sowie seiner irdischen Verheissungen für das Volk und Land
Israel beraubt: Der Abrahambund. Im Gegensatz zum alten Bund oder Gesetzesbund
ist der Abrahambund ein einseitiger Bund, den Gott bedingungslos mit Abraham
vollzogen hat. Dies wird in 1. Mose 15,7-21 deutlich. Der Herr gibt Abraham den
Auftrag, eine Jungkuh, einen dreijährige Ziege, einen dreijährigen Widder, eine
Turteltaube und eine junge Taube jeweils in zwei Hälften zu teilen und einander
gegenüberzulegen. Wenn damals ein Bund geschlossen wurde, gingen beide
beteiligten Parteien zwischen den Tierhälften hindurch. In 1. Mose 15 ging aber
nur eine Feuerfackel Gottes zwischen den Hälften durch und nicht Abraham (V 17).
Somit ist der Abrahambund im Gegensatz zum Gesetzesbund (alten Bund) ein
einseitiger Bund, der allein in Gottes Zusage und Verheissung begründet und
nicht an Bedingungen geknüpft ist. Ab Vers 18 stehen die zukünftigen
Landverheissungen für Israel ausdrücklich mit diesem Bund im Zusammenhang. Diese
Landverheissungen für Israel haben sich bisher noch nicht erfüllt. Auch in
seiner bisher grössten Ausdehnung unter David und Salomo hat Israel das Land in
den Grenzen vom Strom Ägyptens bis zum Euphrat nie besessen. Weil der
Abrahambund ein einseitiger Bund ist, muss sich diese Verheissung in der Zukunft
auch noch erfüllen.
In
Römer 9-11 behandelt Paulus das Verhältnis der Gemeinde zu Israel. Römer
11,26-27 spricht von der zukünftigen Errettung Israels. Die Begründung des
Apostels folgt in Vers 28-29: «Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde
um euretwillen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte um der Väter willen.»
Hier haben wir den Bezug zu Abraham, Isaak und Jakob. Im nächsten Vers begründet
Paulus das Ganze mit dem einseitigen Abrahambund: «Denn die Gnadengaben und die
Berufung Gottes sind unbereubar.»
Auch
schon im Alten Testament, vor dem mosaischen Bund, wird deutlich dass Gottes
Rettungshandeln mit Seinem Volk im Abrahambund begründet ist. So lesen wir in 2.
Mose 2,24 im Zusammenhang mit der Sklaverei in Ägypten: «Da hörte Gott ihr
Ächzen, und Gott dachte an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob.» 5.Mose
6,3.10 und 7,8 begründen die Errettung Israels und die verheissene Landnahme
ebenfalls mit dem Abrahambund. Die erfüllten und zugleich zukünftigen
Verheissungen für Israel werden in Psalm 105,7-11 mit dem Abrahambund begründet.
Im
Gegensatz zum Lehrsystem der Bündnis-Theologie ist in der Bibel die zukünftige
Verheissung Israels nicht an den mosaischen Bund gebunden, der an Bedingungen
geknüpft war, , sondern an den Abrahambund. Dieser Bund ist ein einseitiger
Bund, dessen Zusagen auch im Hinblick auf das Land Israel allein in der
Verheissung Gottes begründet sind.
2.
Israel und Jakob und die zukünftigen Verheissungen. Wie
Anfangs erwähnt, stützt sich die Bündnis- Theologie unter anderem
auf Galater 6,16 und stellt dadurch die Behauptung auf, dass die
Gemeinde das «Israel Gottes» ist und dass das Volk und Land Israel
deshalb keine Verheissung mehr haben. Einmal abgesehen von der
Frage, ob diese Argumentation der tatsächlichen Aussage von Galater 6,16
entspricht, wird dadurch ein wichtiger Punkt der Prophetie
übersehen.
In
vielen zukünftigen Verheissungen für Israel ist nicht nur von Israel,
sondern sowohl von Israel als auch von Jakob bzw. Jakob und Israel
die Rede. So beginnt der Prophet Jesaja das dreiundvierzigste
Kapitel mit folgenden Worten: «Aber jetzt, so spricht der
Herr, der dich geschaffen, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei
deinem Namen gerufen, du bist mein ...» Bis Vers 7 folgen dann
Verheissungen für die zukünftige Sammlung Israels aus allen
Himmelsrichtungen, also nicht nur für die Rückkehr aus dem
babylonischen Exil. In Jesaja 10,20 ist bezüglich der zukünftigen
Errettung ebenfalls sowohl von Israel als auch vom Haus Jakob die
Rede.
In
Jeremia 31,35-37 spricht der Herr davon, dass Sein Bund mit Israel
als Volk genauso unauflösbar ist wie die Naturordnungen und Grenzen
der Naturwissenschaft, die Er den Menschen gesetzt hat. Diese
Zusage Gottes wird nochmals in Jeremia 33,25-26 bestätigt, wobei
in diesem Abschnitt zuerst vom Samen Jakobs und dann vom Samen
Abrahams, Isaaks und Jakobs die Rede ist.
Hier
sollen einige weitere Bibelstellen aus dem Propheten Jesaja,
stellvertretend für die anderen Propheten, aufgeführt werden, in denen
bezüglich der zukünftigen Verheissungen für Israel die
Doppelformulierung Israel und Jakob bzw. Jakob und Israel erwähnt
werden: Jesaja 14,1; 27,6; 41,14; 44,2; 48,12; 49,5. Ausserdem gibt
es zahlreiche andere Bibelstellen in den Propheten über die
Zukunft Israels, in denen nur von Jakob die Rede ist. Stellvertretend
wieder einige Stellen aus Jesaja: 29,22; 44,2; 44,5; 59,20; 65,9.
Warum ist die Erwähnung von Jakob in diesem Zusammenhang wichtig?
Zum
einen steht Jakob oder «Haus Jakob» im Alten Testament immer auch
als Bezeichnung für das auserwählte Volk Israel in seinem unerlösten
Zustand, so, wie der Stammvater Jakob vor seiner Begegnung mit dem
lebendigen Gott am Pniel war. Den neuen Namen Israel bekam er,
nachdem seine eigene Kraft im Ringen mit Gott gebrochen worden war
(1.Mo 32,23-33). Somit macht die Doppelbezeichung Jakob/ Israel
deutlich, was das auserwählte Volk in sich selbst ist und was Gott
aus Seinem Volk einmal machen wird. Deshalb ist das Gericht an vielen
Stellen in den Propheten nicht nur Israel, sondern ebenso Jakob
oder dem «Haus Jakob» angesagt (vgl. Jes 42,24; 43,28; 58,1). Die
Doppelbezeichnung Israel/ Jakob steht für den unerlösten Zustand
des Volkes Israel und wird so auch in den zukünftigen Verheissungen
verwendet, um deutlich zu machen, wie Gott mit Seinem Volk zum
Ziel kommt.
Zum
anderen wird der Name Jakob im ganzen Neuen Testament an keiner einzigen
Stelle auf die Gemeinde Jesu bezogen. Aus diesem Grund ist es
unmöglich, dass die Verheissungen für Jakob und Israel auf die Gemeinde
übertragen werden. Jakob steht immer in einem Zusammenhang mit dem
Volk Israel und niemals mit der Gemeinde!
Der
Name Jakob wird im Neuen Testament fünfundzwanzigmal erwähnt. An
zweiundzwanzig Stellen geht es dabei um den Erzvater Jakob als Person.
Damit bleiben noch drei Stellen übrig, in welchen mit Jakob nicht die
Person des Erzvaters gemeint ist. Zweimal finden wir ihn in den
Kapiteln Römer 9 bis11, dem grossen Abschnitt über Israel und die
Gemeinde, erwähnt. In Römer 9,13 wird er im Zusammenhang mit der
Erwählung Israels gebraucht, um die Bedeutung der Erwählung Gottes
für Sein Rettungshandeln deutlich zu machen. Paulus zitiert in
Römer 11,26 die Verheissung aus Jesaja 59,20, um die zukünftige
Errettung Israels zu begründen. Auch hier steht Jakob im
Zusammenhang mit dem unerlösten Zustand des Volkes heute, bis zu
dem Zeitpunkt, wo der Herr die Gottlosigkeit abwenden wird. In der
dritten Stelle, Lukas 1,33, bei der Ankündigung der Geburt Jesu,
wird Christus als der Herrscher über das Haus Jakobs bezeichnet.
Mit Haus Jakobs ist ebenfalls immer das auserwählte Volk Israel gemeint.
Dies wird durch Vers 32 verstärkt, wo von dem Thron seines Vaters
David die Rede ist.
Zusammenfassend
können wir sagen, dass das Neue Testament nur dreimal den Namen
Jakob verwendet, ohne direkt die Person des Erzvaters zu bezeichnen.
An diesen Stellen ist jedoch ein unübersehbarer Bezug zum Volk
Israel gegeben. Dagegen stehen die unerretteten Menschen im Neuen
Testament im Zusammenhang mit Adam (Röm 5,14; 1.Kor 15,22).
Die
Bündnis-Theologie übersieht, dass die zukünftigen Verheissungen
für Israel in einem untrennbaren Zusammenhang mit Jakob oder dem
Haus Jakob stehen. Mit dieser Bezeichnung ist in der Bibel
abgesehen vom Erzvater Jakob selbst jedoch ausschliesslich das
Volk Israel gemeint und niemals die
Gemeinde.
3.
Die Bedeutung von Jeremia Kapitel 30 bis 31. Der
Prophet Jeremia spricht in Kapitel 31,33-40 vom neuen Bund für Israel, im
Gegensatz zum alten Bund. Vertreter der Bündnis- Theologie wenden
diesen Bund ausschliesslich auf die Gemeinde Jesu als dem «Israel
Gottes» an; sie sehen darin keine Verheissung für das auserwählte
Volk Israel als solches. Warum diese Anwendung nicht möglich ist, möchte
ich durch einige Gründe, die den ganzen Textzusammenhang von Kapitel
30 bis31 umfassen, deutlich machen.
–
In der Prophetie über die zukünftige Errettung Israels und den damit
zusammenhängenden neuen Bund wird sechsmal der Begriff «Jakob»
verwendet (30,7.10.18; 31,7.11), der neben dem Erzvater ausschliesslich
das Volk Israel in der Bibel meint.
–
Jeremia 31,7 spricht von der «Bedrängnis Jakobs» vor der Errettung Israels und
dem damit verbundenen neuen Bund für Gottes Volk. Hier haben wir einen weiteren
Hinweis, wie das noch unerrettete Israel (Jakob) durch die letzte Bedrängnis zur
Umkehr und Erneuerung gebracht wird. In Kapitel 30,12-16 redet der Prophet vom
sündigen Zustand des noch unerretteten Volkes.
–
Diese Kapitel sprechen an mehreren Stellen von «Israel und Juda» oder Juda
(30,3.4; 31,24). Auch diese Bezeichnung wird an keiner Stelle des Neuen
Testaments auf die Gemeinde angewendet. Sie wird als Name gebraucht oder steht
im Zusammenhang mit dem Stamm Juda. Bemerkenswerterweise spricht Jeremia im
Zusammenhang mit dem neuen Bund zweimal vom Haus Juda (31,27.31). Zuvor werden
bezüglich der zukünftigen Verheissungen das Land und die Städte Judas erwähnt
(31,23.24). Somit kann es nur um Israel gehen.
–
In Kapitel 31 ist von Ephraim die Rede (31,6.9.18.20). Dieser Name wird in den
Propheten oft als ein Synonym für das Nordreich Israels und damit ganz Israel
verwendet.
–
Sowohl Kapitel 30 als auch 31 sprechen von der Zerstreuung Israels unter die
Nationen und seiner Sammlung (31,11; 31,2.8.10).
–
Der Name Zion wird an zwei Stellen des Neuen Testaments auch auf das himmlische
Jerusalem angewandt (Hebr 12,22; Offb 14,1). In Jeremia 30 und 31 kann er aber
nur auf das irdische Jerusalem angewendet werden. Der Prophet spricht von der
«ehemals Verstossenen», was nur das irdische Jerusalem bezeichnen kann (30,17),
und macht geographische Angaben, die sich wiederum nur auf das irdische
Jerusalem beziehen können (31,38- 40). Ausserdem weist Benedikt Peters in seiner
Sacharja-Auslegung darauf hin, dass die Erwähnung des himmlische Jerusalems im
Neuen Testament immer einen Zusatz enthält, um Verwechslungen auszuschliessen
(Gal 4,26: Jerusalem droben; Hebr 12,2: himmlisches Jerusalem; Offb 21,2: neues
Jerusalem; Offb 21: die Braut, die Frau des Lammes; Offb 21,10: die Stadt, die
«aus dem Himmel von Gott» herabkommt).
–
Neben der Erwähnung des Landes wird auch das Gebirge Ephraim genannt (31,6).
Ausserdem ist von Tieren und Weinbergen die Rede
(31,5.27).
–
Jeremia stellt in Kapitel 31,1 den Bezug zum bisher Gesagten her: «Zu jener Zeit
...» In diesem Zusammenhang kommt er dann ab Vers 31 auf den neuen Bund zu
sprechen. Im weiteren Verlauf von Vers 1 wird deutlich, dass es nur um das Volk
Israel gehen kann: «... werde ich der Gott aller Sippen Israels sein, und sie
werden mein Volk sein.» Das Wort für Sippe oder Geschlechter meint die
Untergruppierung eines Stammes in den verschiedenen Familien. So hörte Mose die
Sippen, jeder am Eingang seines Zeltes, weinen (4.Mo 11,10). Dieser Begriff
meint also die Sippen innerhalb der Stämme Israels und ergibt als geistliche
Anwendung auf die Gemeinde Jesu überhaupt keinen Sinn.
Der
Textzusammenhang und die darin erwähnten Angaben machen deutlich, dass die
Verheissung des neuen Bundes in Jeremia 31 nicht von der Zukunft Israels gelöst
und auf die Gemeinde übertragen werden kann. Hier unterläuft der
Bündnis-Theologie ein biblisch-sachlicher
Trugschluss.
4.
Das Kommen des Messias im Propheten Sacharja. Der
Prophet Sacharja spricht sowohl von dem ersten als auch dem
zweiten Kommen Jesu. Im Gesamtzusammenhang des Buches wird
deutlich, dass sowohl das erste als auch das zweite Kommen des Messias
in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Volk und Land Israel
stehen. Alles, was Sacharja über das erste Kommen Jesu vorhergesagt
hat, erfüllte sich nicht geistlich, sondern wortwörtlich. Etwas
anderes ist die bildhafte Sprache in den Visionen und Gesichten
des Propheten. Benedikt Peters zeigt in seiner Sacharja-Auslegung
auf, dass selbst die Ausleger die eine Zukunft für Israel ablehnen,
in Sacharja Kapitel 1 bis11 Jerusalem fast an allen Stellen mit dem
irdischen Jerusalem gleichsetzen. Der Bruch in der Auslegung
innerhalb des Buches erfolgt dann, wenn es um die Wiederkunft Jesu
geht. Dann beginnt man unbegründet, geographische Angaben zu
vergeistigen. Einige Beispiele für die wortwörtliche Erfüllung des
Propheten Sacharja über das erste Kommen des
Messias:
–
Der Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel (Sach
9,9).
–
Das Verlassenwerden Jesu bei Seiner Gefangennahme durch Seine Jünger (Sach
13,7).
–
Jesus wurde für 30 Silberlinge verraten (Sach
11,12).
–
Die 30 Silberlinge wurden von Judas in den Tempel geworfen und anschliessend
wurde der Töpferacker davon gekauft (Sach 11,13).
–
Die Seite Jesu wurde mit dem Speer durchstochen (Sach 12,10).
Sacharja spricht an verschiedenen Stellen in einem engen Textzusammenhang sowohl von dem ersten als auch von dem zweiten Kommen Jesu. Deshalb besteht kein Grund, die Stellen auf das zweite Kommen Jesu anders als wortwörtlich zu deuten.
–
Die Völker werden sich in Israel gegen Jerusalem versammeln (Sach
12,1-3).
-
Das Haus Davids wird in dem wiederkommenden Christus seinen Herrn und Gott
erkennen und eine Geistesausgiessung erleben (Sach
12,10).
–
Im Zusammenhang mit der Klage und Busse über den Retter werden die einzelnen
Geschlechter Israels angeführt (Sach 12,11-14). Hesekiel führt in seiner Schau
vom messianischen Reich die Stämme Israels namentlich auf und macht für die
jeweiligen Stammesgebiete exakte geographische Angaben, die nur auf das Land
Israel bezogen werden können (Hes 48,22-29).– Der Ölberg spaltet sich bei der
Wiederkunft Jesu (Sach 14,4).
–
Genaue geographische und namentliche Angaben werden über Israel und auch andere
Länder im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi gemacht (Sach 14,10-11.18).
Sacharja spricht wie Hesekiel (Hes 47,8) von der Talebene am Toten Meer, die
auch Arava genannt wird.
Im
Propheten Sacharja sind die Vorhersagen über das erste und zweite Kommen Jesu so
eindeutig und auch an einigen Stellen miteinander verzahnt, dass es nicht
möglich ist, verschiedene Auslegungskriterien (wörtlich oder geistlich)
anzuwenden, ohne einen Bruch in den Prinzipien des Textverständnisses zu
vollziehen. Die wörtlich erfüllte Prophetie über das erste Kommen Jesu im Buch
Sacharja lässt keinen anderen Schluss zu als die ebensolche Erfüllung bei Seiner
Wiederkunft.
5.
Die Bedeutung von Galater 6,16. Wie
eingangs erwähnt, wird Galater 6,16 als ein «Paradeargument» der
Bündnis-Theologie angeführt: «Und so viele dieser Richtschnur folgen
werden, Friede und Barmherzigkeit über sie und über das Israel
Gottes.» Im Zusammenhang des Galaterbriefes wird deutlich, dass
Paulus mit dem «Israel Gottes» solche meint, die durch die Gnade
Gottes errettet werden. Zugleich muss aber kritisch gefragt werden, ob
diese Stelle tatsächlich lehrt, dass Israel nicht mehr Gottes
auserwählte Volk ist und keine Verheissung mehr hat. Bei einem
näheren Betrachten kann gerade diese Folgerung nicht aus Galater 6,16
gezogen werden. Warum?
Wie
soeben angeführt, geht es im Galaterbrief um die Errettung des
Menschen durch die Gnade Gottes. Paulus macht deutlich, dass dies
nicht aufgrund der äusseren Zugehörigkeit zum auserwählten Volk
Israel geschieht, auch nicht, indem ein Mensch sich beschneiden
lässt, sondern ausschliesslich durch den Glauben an Jesus Christus.
Auf denselben Sachverhalt geht der Apostel in den beiden
angeführten Stellen aus dem Römerbrief ein (Röm 2,28-29; 9,6-11).
Dort geht es ebenfalls um die Errettung eines Menschen!
Nun
darf aber die Frage nach der Errettung eines Menschen nicht mit der
Frage nach der Stellung Israels als auserwähltes Volk Gottes
vermischt werden. Dieser biblische Sachverhalt wird von der
Bündnis-Theologie übersehen. Schon im alten Bund zog die Auserwählung
Israels nicht automatisch die Errettung aller Israeliten nach sich.
In Römer 9,27-29 und Römer 11 macht Paulus deutlich, dass immer nur
der Rest oder Überrest des auserwählten Volkes gerettet wurde. Und
der Schreiber des Hebräerbriefes spricht von denen in Gottes Volk,
die nicht glaubten und deshalb dem Gericht verfielen (Heb
3,7-4,11). Diese Tatsache ändert aber nichts an der Stellung Israels
als Gottes auserwähltes Volk.
Der
treue Rest, von dem Paulus spricht (Röm 9,27; 11,5), findet sich heute in
den messianischen Juden, die zusammen mit den Gläubigen aus den
Nationen zur Gemeinde Jesu gehören. Bei der Wiederkunft Jesu wird
jeder Israelit gerettet, der dann noch am Leben ist (vgl. Sach
12,9-14; 13; 14; Röm 11,25-27). Punktuell, im Zusammenhang mit der
Wiederkunft Jesu, ist dies dann «ganz Israel» (Röm 11,26):
Geschichtlich, über die Jahrtausende gesehen, bildet die letzte
lebende Generation zusammen mit dem treuen Rest durch alle Zeiten
hindurch den Überrest des Volkes. Somit stimmen beide biblischen
Sachverhalte überein: Geschichtlich gesehen wird nur ein Überrest
gerettet (Röm 9,27), auf die Situation der Wiederkunft Jesu bezogen, ist es
«ganz Israel».
Unabhängig
von dem geistlichen Zustand der einzelnen Israeliten zeigt sich an
der Stellung der Nationen gegenüber dem Land und Volk Israel immer
die Haltung gegenüber dem lebendigen Gott (vgl. Joel 2,18-19; 4,1-6; Mi
4,11- 13; Hab 3,12-13 etc.). Der Unterschied zwischen der unantastbaren Stellung
Israels als Gottes auserwähltem Volk und der Errettung der Einzelnen wird im
Textzusammenhang von Römer 9 bis 11 deutlich. So spricht Paulus, damals schon
zur Zeit des neuen Bundes, nicht etwa in der Vergangenheitsform von den
Vorrechten Israels, sondern in der Gegenwartsform (Röm 9,4-5).
Aus
diesem Grund müssen wir auch zwischen Israels Stellung als dem auserwählten Volk
Gottes und der Errettung der Gläubigen aus Israel differenzieren.
Mit
dem «Israel Gottes» (Gal 6,16), dem «Juden mit der Herzensbeschneidung» (Röm
2,18-19) und den «Kindern der Verheissung» (Röm 9,8) hebt Paulus in keiner Weise
die Stellung Israels als auserwähltes Volk und die damit verbundenen noch
ausstehenden Verheissungen auf, sondern er behandelt die Frage nach der
Errettung.
Was
die Stelle aus Galater 6,16 betrifft, hat Arnold Fruchtenbaum noch auf einen
weiteren Zusammenhang aufmerksam gemacht (s. «Israel und die Gemeinde»,
Gemeindegründung KFG 1/08, S. 18-21). Eine genaue grammatikalische
Untersuchung dieser Stelle legt nahe, dass Paulus sogar von zwei Gruppen
Erretteter spricht. Er schreibt: «Friede und Barmherzigkeit über sie und über
das Israel Gottes!»
Die
erste Gruppe wären damit die Gläubigen aus den Nationen (über sie), die zweite
Gruppe, das «Israel Gottes», der gläubige Überrest innerhalb des Volkes und das
errettete Israel bei der Wiederkunft Jesu. Die Bündnis-Theologie macht dagegen
aus dieser Aufteilung ein und dasselbe. Dazu zitiert Fruchtenbaum Dr. S.
Lewis Johnson:
«Wenn
es eine Auslegung gibt, die sich auf ein wackeliges Fundament stützt, ist es die
Sichtweise, welche behauptet, Paulus stelle den Begriff ‹das Israel Gottes› mit
der Gemeinde der Gläubigen aus den Juden und Nichtjuden gleich. Um dies zu
belegen, muss der allgemeine paulinische neutestamentliche und gesamtbiblische
Gebrauch des Wortes Israel ignoriert werden. Der grammatikalische und
syntaktische Gebrauch der Konjunktion kai (und) wird überdehnt und verdreht – da
die seltene und unübliche Bedeutung herangezogen wird, obwohl die gewöhnliche
Bedeutung zufriedenstellend ist – nur, weil diese Sicht nicht mit der
vorgefassten Position des Exegeten übereinstimmt. Und zu allem Überfluss wird
der besondere Kontext des Galaterbriefes und der weitere Kontext der
paulinischen Lehre über Gottes Handeln mit Israel und den Nationen (wie
insbesondere in Römer 11 herausgestellt) vernachlässigt ... die Lehre, dass die
Gemeinde aus Nichtjuden und Juden das Israel Gottes ist, gründet auf einer
Illusion. Sie ist ein klassisches Beispiel von voreingenommener Exegese.»
Zusammenfassend
möchte ich festhalten, dass der Inhalt des Galaterbriefes (Errettung durch die
Gnade) keinerlei Hinweis für die Aufhebung der Erwählung des Landes und Volkes
Israels gibt. Dasselbe gilt für die angesprochenen Stellen aus dem Römerbrief.
Eine genau Untersuchung von Galater 6,16 legt sogar nahe, dass Paulus hier
bewusst einen Unterschied zwischen zwei Gruppen von Glaubenden machte, um jeden
Gedanken an eine Ablehnung der Erwählung Israels auszuschliessen. Es gibt sowohl
auf dem Hintergrund des Neuen als auch des Alten Testamentes überhaupt keinen
Grund, an der bleibenden Auserwählung Israels zu zweifeln. So exakt wie viele
Verheissungen und Gerichtsandrohungen für Israel in der Vergangenheit
eingetroffen sind, wird sich auch noch alles erfüllen, was an göttlicher
Prophetie noch aussteht. Um Seines Namens und Seiner Ehre willen wird Gott nicht
ruhen, bis Er mit Israel zu Seinem Ziel gekommen ist (Jes 48,11; Hes
36,22).
No comments:
Post a Comment